Wer entscheidet?
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Funktioniert der Pfirsich besser als die Pyramide?
Wer ist der Bestimmer? Eine beliebte Frage im Kindergarten. Wer ist der Entscheider? Eine beliebte Frage im Unternehmen. In beiden Fällen scheint die Antwort klar. Im Kindergarten sind es die Erzieherinnen, im Unternehmen die CxOs, ganz vorne der CEO. Für jeden, der etwas bewegen will, ist es von entscheidender Bedeutung, einen guten Draht zum CEO zu haben, denn der trifft die Entscheidungen. Je relevanter Entscheidungen sind, desto weiter „oben“ in der Hierarchiepyramide müssen Sie getroffen werden, denn dort liegt ja schließlich die Verantwortung. Oben wird gedacht, unten wird gemacht. Das war lange Zeit die Regel, nach der Unternehmen funktionierten.
In der Wissensökonomie gelten nun jedoch andere Spielregeln. Das vorhandene Wissen wird immer mehr zum Expertenwissen und zugleich drängt der Faktor Zeit auch bei wichtigen Entscheidungen. Die Pyramide ist kein schneller Weg, Entscheidungen zu treffen, denn auf dem Weg zur Spitze der Pyramide vergeht viel Zeit. Und ob auf der Spitze der Pyramide immer die besten Entscheidungen getroffen werden, darf auch bezweifelt werden. Organisationen, die viele Entscheidungen „weit oben“ treffen, sind traditionell eher von einer Angst- bzw. Absicherungskultur geprägt. Das demotiviert die Experten im eigenen Unternehmen und ist auch für die Innovationskraft nicht gerade förderlich. Das hierarchische Entscheidungsmodell ist mehr und mehr unzeitgemäß.
Wie sehen die Alternativen aus?
Vor zwanzig Jahren habe ich mein Unternehmen gegründet und habe mich mit dieser Frage seitdem immer wieder beschäftigt. Eigene Erfahrungen als Mitarbeiter und viele Gespräche mit meinen Kunden haben mich in meiner Skepsis bestätigt. Zu allererst einmal war es mir wichtig, dass ich meinen Mitarbeitern sehr viel Vertrauen und Freiraum schenken wollte. Ich war fest davon überzeugt, dass unser Unternehmen sich damit deutlich besser entwickeln kann, als wenn ich alles kontrolliere und steuere. Das war Mitte der 90er Jahre, als die Themen Agilität, Unternehmensdemokratie, Komplexitätsbewältigung u.v.m. noch nicht so sehr im Fokus standen wie heute. Die Grundidee für die Führung meines eigenen Unternehmens war neben Vertrauen und Freiraum immer ein sehr hohes Maß an Transparenz, Kommunikation und Kooperation. Früh haben wir ohne theoretischen Unterbau experimentiert und mit meinen kompetenten und vertrauenswürdigen Führungskräften habe ich viele Türen aufgestoßen. Als Team ist es uns dadurch gelungen, ein solides, dynamisches und erfolgreiches Unternehmen von heute 100 Mitarbeitern zu entwickeln, das mir immer noch sehr viel Freude macht.
Kluge Geister auf dem Weg
In den letzten Jahren haben wir bzgl. unserer Aufbauorganisation und unserer Entscheidungsprozesse neben den Erkenntnissen aus der eher intuitiven Phase der 90er die Konzepte einiger moderner Managementexperten integriert, um daraus ein zukunftsfähiges Organisationsmodell zu entwickeln. Besonders beeindruckt haben mich dabei Autoren und Trainer wie Niels Pfläging, Andreas Zeuch, Stephanie Borgert und Lars Vollmer. Ich habe diese inspirierenden Menschen persönlich kennengelernt, in Workshops und öffentlichen Veranstaltungen haben wir neue Vorstellungen von „Arbeit“ diskutiert und nicht nur fachlich Freundschaft geschlossen. Ganz persönlich bin ich auch beeinflusst durch Frederic Laloux, der in seinem Grundlagenwerk für ein neues ganzheitliches Organisationsmodell „Reinventing Organizations“ großartige Vorstöße für ein Zukunftsmodell Arbeit entwirft.
(meine ganz persönliche literarische Hitliste dieser Menschen findet Ihr am Ende dieses Blogs)
Aus den eigenen Erfahrungen und den vielfältigen Inspirationen der oben genannten Organisationsexperten sowie aus vielen Gesprächen mit Kunden, Kooperationspartnern und Wettbewerbern habe ich Organisationsgrundsätze entwickelt, die ich für sehr zukunftsfähig halte. Diese stelle ich hier kurz dar.
Führung ist notwendig
Ein Unternehmen benötigt nach wie vor eine personifizierte „oberste“ Führung, die aus einem Menschen oder einer kleinen Gruppe besteht, die die Werte, die Mission und die Vision des Unternehmens überzeugend verkörpert. Diese Führung ist jedoch in den allermeisten Fällen nicht oberster Entscheider, sondern primär der Systemarchitekt, Befähiger und Moderator. Er muss in einem partizipativen Verfahren Strukturen schaffen, in denen dezentrale Entscheider und Experten selbständig Entscheidungen treffen können, ohne sich nach oben absichern zu müssen. Wenn Entscheidungen aufgrund hoher Risiken abgesichert werden sollten, muss dies in der Regel durch unabhängige „peers“ erfolgen und nicht zwingend durch den „Hierarchen“.
Gegenseitiges Vertrauen hilft
Beim partizipativen „Schneiden“ von Verantwortungsbereichen sehe ich zwei Dimensionen. Zum einen sollten Verantwortungsbereiche entsprechend der Produkt- oder Dienstleistungslinien, die am Markt angeboten und verkauft werden, „geschnitten“ sein. Die Nähe zur Praxis und zu den Kunden stehen für Effizienz und Realitätsnähe aller Prozesse und Entscheidungen. In der zweiten Dimension sind die internen Querschnittsfunktionen wie HR, Technik, Administration, Rechnungswesen, Controlling, Marketing Services, Business Development und Markenmanagement ebenso deutlich Verantwortlichen zuzuordnen.
Ein Merkmal von Vertrauenskultur ist dann, dass die verantwortlichen dezentralen Entscheider Vertrauen in die Entscheidungskompetenz ihrer Kollegen haben und auch das Vertrauen haben, dass diese den Kontakt suchen, wenn Entscheidungen mit einer großen übergeordneten Relevanz zu treffen sind.
Miteinander reden ist Gold
Alle für einzelne Geschäftsbereiche oder Querschnittsprozesse Verantwortlichen müssen regelmäßig und intensiv miteinander im Dialog sein. Der Dialog der Menschen, die für ihre Verantwortungsbereiche selbständig entscheiden, verhindert das Silodenken, welches zwangsläufig durch stark selbst-organisierte Bereiche gefördert wird. Ergänzend sind Informations- und Gestaltungsforen für alle Mitarbeiter einzurichten, damit diese sich auch einbringen können.
Führung ist relativ
Mitarbeiter benötigen auch im 21. Jahrhundert Orientierung. Auf der operativen Ebene ist nach wie vor eine Mitarbeiter-Vorgesetzten-Beziehung erforderlich. Die konkrete Ausprägung dieser Beziehung hängt sehr von der Fähigkeit der Selbst-Organisation des Mitarbeiters ab. Unerfahrene und wenig selbst-organisierte Mitarbeiter brauchen viel Führung und Steuerung, die anderen lediglich offene Türen und angemessenes Feedback. In allen Fällen ist ein hohes Maß an Transparenz, Vertrauen und Kooperationsbereitschaft sehr wichtig.
Mit diesen wenigen einfachen Prinzipien sind nach meiner Erfahrung die wichtigsten Voraussetzungen für schnelle und gute Entscheidungen geschaffen. Was nicht heißt, dass alle Entscheidungen immer zum gewünschten Ziel führen. Fehler sind erwünscht. Lernen ist Pflicht. Kritische Fehlentscheidungen treten bei diesem Modell aber seltener auf als in klassischen Strukturen. Und natürlich ist es absolut entscheidend, dass die dezentralen Entscheider passend ausgewählt und befähigt wurden und dass das Unternehmen konsequent Fehlbesetzungen an diesen Schlüsselpositionen korrigiert.
Der oben erwähnte Autor Niels Pfläging hat für diese Form der Organisation das Bild des Pfirsichs statt der Pyramide gewählt. Bei dem Pfirsich befindet sich die DNA, d.h. die Werte, die Mission, die Vision, im Kern. Von dort aus werden die kundennahen Bereiche, das Fruchtfleisch, befähigt, über eine dünne Schale mit dem Kunden selbstorganisiert zu interagieren. Mir gefällt dieses Bild. Er hat es in seinem Buch „Organisation für Komplexität“ ausführlich auch für größere und komplexere Organisationen „durchdekliniert“. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dieses Modell für ein 100-Personen-Unternehmen sehr gut funktioniert. Mit Niels Pfläging bin ich der festen Überzeugung, dass es auch für deutlich größere Organisationen passt. Es gibt dafür gute Beispiele und die meisten davon sind außerordentlich erfolgreich.
Die Diskussion geht weiter
Theorien müssen sich in der Praxis bewähren und den kritischen Fragen aus der Praxis standhalten. Nehmen wir z.B. die Frage, wer entscheidet, wenn Entscheidungen nicht klar in einen Verantwortungsbereich fallen? Sollen ausgewählte Mitarbeiter im Konsens entscheiden? Oder alle Mitarbeiter mit einer qualifizierten Mehrheit? Oder am Ende doch der „oberste Hierarch“?
Ich bin auf Eure Kommentare und Hinweise gespannt!
Mein nächster Blogbeitrag erscheint am 2. Weihnachtstag. Getreu dem Motto „Thank God it’s Monday“, auch wenn es ein besonderer Montag ist. Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Gemeinschaft. Passend dazu geht es in dem nächsten Beitrag darum, dass Kooperation erfolgreicher ist als Wettbewerb. Euch wünsche ich an dieser Stelle eine glückliche Weihnachtszeit.