„Vom Top-Experten zur mittelmäßigen Führungskraft – geht’s auch anders?“
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Leadership Development, Organisationsentwicklung, People & Culture
Der Rollenwechsel vom technischen Experten zur Führungskraft ist ein alltägliches Phänomen, stößt jedoch all-
zu oft auf unzureichend vorbereitete Beteiligte. Niemand würde auf die Idee kommen, eine Windows 8 Einführung von einem Spezialisten ohne Windows 8 Fach- und Erfahrungswissen machen zu lassen. Interessanterweise passiert genau das mit erstaunlicher Regelmäßigkeit, wenn Top-Experten zu Führungskräften berufen werden. Das für die effektive Führung von Menschen erforderliche „Handwerkszeug“ wird oft nicht mit auf den Weg gegeben und in vielen Fällen wird nicht einmal die Notwendigkeit hierfür gesehen.
Im Ergebnis endet dies häufig damit, dass die Leistungsfähigkeit des (nicht-)geführten Teams hinter den Erwartungen zurückbleibt und/oder Mitarbeiter abwandern, da insbesondere Spitzenkräfte in der Regel Vorgesetzte und nicht Unternehmen verlassen.
Technisch-orientierte Bereiche sind jedoch in besonderem Maße auf den Erhalt von fachlicher Expertise angewiesen, da der Aufbau von Fach- und Erfahrungswissen meist über Jahre erfolgt und ein Verlust nicht ohne Weiteres ersetzbar ist. Auch die Minderung der Leistungsfähigkeit eines Teams kann sich kaum ein Unternehmen wirklich erlauben.
Und dennoch begegnen mir immer wieder Menschen, die sich ohne wirkliche Vorbereitung – geschweige denn mit einer soliden Führungsausbildung – in einer Führungsrolle wiederfinden. Viele davon befinden sich in einem Zustand, den ich als „Selige Unwissenheit“ bezeichne. Da Führung in dem entsprechenden Unternehmen nicht als zu erlernendes Handwerk betrachtet wird, freuen sie sich zunächst über die hinzugewonnenen „Schulterklappen“ und erkennen nicht oder sehr spät, dass sie unzureichend ausgerüstet für die Führungsfunktion ins kalte Wasser geworfen wurden. Sie versuchen nach bestem Wissen und Gewissen der Aufgabe gerecht zu werden, ohne zu bemerken, dass in zu kaltem Wasser auch der beste Schwimmer kaum überleben kann.
Was lässt sich nun diesen Betroffenen empfehlen, um sich ‚Fit für Führung’ zu machen? Aus meiner Sicht sind es drei Dinge, die jede (angehende) Führungskraft für sich sicherstellen sollte, da sich ohne diese nur schwerlich ein sicheres Standing in Sachen Führung finden lässt.
1. Die Kenntnis der theoretischen Grundlagen professioneller Führung.
2. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der inneren Transformation vom Spezialisten zur Führungskraft.
3. Die Auswahl eines erfahrenen Sparringspartners zur Diskussion von Führungsfragestellungen.
Das theoretische Wissen schafft das Fundament und sollte die wichtigsten Aspekte in Bezug auf Führungsaufgaben, -werkzeuge und -grundsätze umfassen. Ein praxisnahes Standardwerk ist Fredmund Maliks Buch ‚Führen Leisten Leben’. Alternativ gibt es zahlreiche Seminarangebote, die Führungsgrundlagen – in der Regel kombiniert mit praktischen Anwendungsübungen – vermitteln (wer unter den Stichworten „Führungsschulung“ oder „Führungsführerschein“ googelt, findet eine Fülle von Angeboten).
Die innere Haltung hat signifikanten Einfluss darauf, ob eine Führungskraft bei anderen die Bereitschaft auslöst, sich von ihr führen zu lassen. Dies macht die Reflexion der eigenen Haltung ebenso unerlässlich wie die Auseinandersetzung damit, nicht mehr nur für das eigene Handeln oder Nicht-Handeln, sondern auch für die Fehler anderer verantwortlich zu zeichnen. Auch gilt es, einen Umgang mit veränderten kollegialen Beziehungen zu finden und es auszuhalten, noch nicht den Respekt und die Anerkennung zu bekommen, die erfahrene Führungskräfte erhalten. All das erfordert einen nicht zu unterschätzenden inneren Anpassungsprozess, bei dem eine externe Begleitung, z.B. durch einen professionellen Coach, hilfreich sein kann.
Um Handlungsunsicherheit oder Führungsschwierigkeiten, insbesondere in der Anfangsphase zeitnah und ohne Reibungsverluste zu überwinden, kann es darüber hinaus sinnvoll sein, diese mit einem führungserfahrenen Gegenüber zu diskutieren. Hierbei sollte der Dialog durch Vertraulichkeit geschützt und möglichst nicht durch ein Hierarchiegefälle zwischen den Dialogpartnern beeinflusst sein.
Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt, der wesentlich dazu beiträgt, ob ein Rollenwechsel vom Experten zur Führungskraft erfolgreich gelingt. Schon bei der Entscheidung für eine Führungsaufgabe sollten Spezialist und Unternehmen sehr genau prüfen, ob das vorhandene natürliche Stärkenprofil sich mit den Anforderungen einer Führungsrolle deckt. Studien des Gallup-Instituts zeigen, dass nur dort gute Leistungen erbracht werden, wo die natürlichen Denk- und Verhaltensmuster – sprich die individuellen Talente – in hohem Maße mit den für die Aufgabe erforderlichen Begabungen übereinstimmen.
Meine Erfahrung ist, dass sich das für eine Führungsfunktion notwendige Talentprofil erheblich von dem einer Expertenrolle unterscheidet. Im ungünstigsten Fall besteht somit die Gefahr, dass aus einem TOP-Spezialisten eine wenig inspirierte und wenig inspirierende Führungskraft wird. Diese für Unternehmen und Mitarbeiter sehr unbefriedigende Situation ist später nur mit viel Fingerspitzengefühl und Reflexionsarbeit auflösbar, wenn sichergestellt werden soll, dass alle Beteiligten keinen Schaden nehmen.
Fazit: Die Überlegung, ob unter Berücksichtigung der vorhandenen Talente die angestrebte Rolle als Führungskraft wirklich mit derselben Freude wie die bisherige Expertenfunktion wahrgenommen werden kann, sollte unbedingt Teil des Entscheidungsprozesses sein. Kommen alle Beteiligten zu dieser Einschätzung und die Führungsrolle wird übernommen, so ist eine angemessene Qualifizierung und Begleitung zu gewährleisten. Unter diesen Rahmenbedingungen besteht eine gute Chance für den Weg „Vom Top-Experten zur erfolgreichen Führungskraft“.
Literatur:
Malik, Fredmund, Führen Leisten Leben, 2013, Campus Verlag
Buckingham, M., Coffman, C., Erfolgreiche Führung gegen alle
Regeln, 2005, Campus Verlag
Groth, Alexander, Führungsstark im Wandel, 2011, Campus Verlag