Mit agilem Management bringt der Allwetterzoo Münster Schwung in seine Projekte
Zoodirektorin Dr. Simone Schehka im nc360° Interview
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Agile Beratung, Change Management, Organisationsentwicklung, People & Culture
Traditionelle Methoden hierarchischer Führung sind in Unternehmen und Institutionen zunehmend weniger geeignet, der Komplexität und Unübersichtlichkeit zu begegnen, die im digitalen Zeitalter täglich zu bewältigen sind. Selbstorganisation und Agilität lösen das „Top-Down-Prinzip“ ab und entfalten eine inspirierende Dynamik in Organisation und Betrieb. Auch das Management des Allwetterzoos Münster ist nach einer Fortbildung im „Agilen Projektmanagement“ heute agil unterwegs. Die Change Management Berater von noventum consulting eröffneten in einem intensiven Workshop Ziel und Methodik des agilen Managements.
Agile Selbstorganisation als Schlüssel zur Bewältigung der Komplexitätsfalle
1875 öffnete in Münster der Zoologische Garten seine Tore und ist seitdem eine weit über die Grenzen der Region bekannte Attraktion. 1974 an neuem Standort als Allwetterzoo neu errichtet, beherbergt der Zoo heute über 2.500 Tiere und lockt jährlich mehr als eine halbe Million Besucher an (2021 über 600.000). Neben den umfangreichen Routinearbeiten in Tierpflege und Besucherbetreuung sind es immer wieder kleine und große Projekte, die die tägliche Arbeit der knapp 170 Mitarbeitenden prägen. Ob es der Bau der „Meranti-Halle“ oder ein spontaner Benefizabend für die Flüchtenden aus der Ukraine ist, im Zoo wird täglich viel organisiert und umgesetzt. Um der zunehmenden Komplexität zu begegnen, engagierte Zoodirektorin Dr. Simone Schehka die Unternehmensberatung noventum für eine Schulung ihrer obersten Führungsebene in agilem Projektmanagement. Uwe Rotermund, noventum Geschäftsführer und Culture Change Experte, führte mit noventum Beraterin Rabea Wolters das Zoo Management durch den Workshop und stand im Nachgang für Einzelcoachings zur Verfügung.
Im nc360° Interview berichtet Dr. Schehka über die nachhaltigen Auswirkungen der Schulung auf den Managementalltag des Allwetterzoos.
Wenn der agile Coach seine Aufgabe ernst nimmt, „gibt es kein Entrinnen.“
nc360°: Wie hat sich nach dem agilen Projektmanagement-Workshop die Arbeit Ihres Führungsteams verändert?
Dr. Schehka: Sie haben es tatsächlich geschafft, in unsere Arbeit deutlich mehr Struktur zu bringen und uns gleichzeitig agiler zu machen. Die ganze Komplexität ist greifbarer und umsetzbarer geworden. Manchmal ist es bei der Vielfalt unserer Aufgaben eine wirkliche Herausforderung, die agilen Regeln immer einzuhalten. Aber unser agiler Coach nimmt seine Aufgabe sehr ernst und so gibt es kein Entrinnen. Sie haben es geschafft, die Zusammenarbeit in der Geschäftsleitung nachhaltig zu verändern. Wir sind effizienter geworden, organisierter und durch das „Konsent-Verfahren“ anders verbindlich. Wenn wir früher zusammenkamen, gab es diverse Meinungen, wir haben darüber gesprochen und sind mit verschiedenen Ansichten auch wieder auseinandergegangen. Das ist heute anders. Auch die Reviews helfen, die Komplexität greifbarer zu machen.
nc360°: Welche Themen gehen Sie heute anders an?
Dr. Schehka: Wir haben große Aufgaben vor uns und ob durch Corona oder das Masterprojekt – alle sitzen immer erneut auf anderen Stühlen und wir mussten uns bewegen und konnten nicht mehr in den alten Strukturen weiterarbeiten. Wir sind nach dem intensiven 2-Tage-Workshop heute agiler und effizienter.
nc360°: Ein Zoo hat ja gewiss viele Standardaufgaben, die als gesetzt gelten dürfen. Wer sind die Personen, die heute im Allwetterzoo Münster agiler vorgehen (können)?
Dr. Schehka: Konkret reden wir von der erweiterten Geschäftsleitung. Das sind der technische Leiter, der kaufmännische Leiter, der Seniorkurator und natürlich ich als Geschäftsführerin. Überrascht hat mich allerdings, dass es auch schon in die Abteilungen hineinwirkt. So arbeiten heute auch unsere Bereichsleiter mit Microsoft 365 und Teams. Es fängt in der Geschäftsleitung an und bricht sich herunter in die einzelnen Abteilungen.
Wenn alle agilen Rollen verteilt sind, geht es strukturierter voran
nc360°: Wie muss ich mir in der Gewichtung die Relation von Projektarbeit und Standardaufgaben im Zoo vorstellen?
Dr. Schehka: Sicher haben wir alle unsere Alltags- und Routinearbeiten, z. B. muss der Tiger gefüttert oder die Tränke repariert werden und auch die Besucher müssen in den Zoo gelassen werden. Der Alltag macht vielleicht 30 % oder 40 % aus. Was uns aber umtreibt, sind viele und umfangreiche Projekte. Allein unsere Veranstaltungen für das Zoopublikum, neue Tiere, die kommen, Anlagen, die gebaut oder umgebaut werden. Und diese Projekte betreffen eigentlich fast immer alle Abteilungen. Seitdem wir es gelernt haben, diese Aufgaben als Projekt aufzufassen mit Projektleitung, Projektsteuerung, Reportingstrukturen und all den weiteren Rollen, sind wir strukturierter und kommen besser voran.
nc360°: Wie kommt die agile Projektorganisation bei Ihren Mitarbeitenden an?
Dr. Schehka: Wir stehen in mancherlei Hinsicht noch am Anfang. Aber es ist eine ermutigende Entwicklung zu sehen. Beispielsweise haben wir in der Tierpflege 6 Bereichsleiter, die heute untereinander klären, wie bei Sonderbedarf bereichsübergreifend der Personaleinsatz geregelt wird. Solche Pläne kamen früher „von oben“, jetzt klären die Kollegen das unter sich. Das bedeutet Verantwortung, bringt aber auch Freude und Bestätigung. Und es ist natürlich eine Frage des Vertrauens in die Leitung. Wir reden heute mehr auf Augenhöhe und zielorientiert miteinander.
nc360°: Können Sie sich vorstellen, künftig auch Ihre „Kunden“ in den agilen Prozess mit einzubeziehen, also vielleicht die Zoobesucher?
Dr. Schehka: In den Anfängen tun wir das bereits. Die Idee unseres künftigen Customer-Relationship-Managements sieht eine erheblich stärkere Kundenorientierung vor. Das beginnt mit schrankenlosen Parksystemen, Einchecken per App und nicht am Schalter und künftig vielleicht auch dem bargeldlosen Bezahlen unserer Jahreskartengäste mit ihrer Zookarte. Auch mit dem Zooverein sind wir näher zusammengerückt, arbeiten in manchen Vorhaben direkt zusammen und haben mittlerweile außerdem eine direkte Verlinkung unserer jeweiligen Homepages. Oder mit dem Betreiber der „Solaaris“ – der Segelschule Overschmidt – der unsere Kunden direkt per Boot zum zooeigenen Hafen bringt. Es hängt natürlich immer auch vom Gegenüber ab, wie agil man die Arbeit miteinander gestaltet.
Flexible Arbeitszeiten im Allwetterzoo
nc360°: Wissen Sie von anderen Zoos, die ähnliche agile Prozesse in Gang gesetzt haben?
Dr. Schehka: Über andere Zoos Aussagen zu treffen, ist immer schwierig. Für unsere Größe sind wir aber schon sehr modern, mobil und agil unterwegs und bekommen das von Kollegen auch zurückgemeldet. Gerade hinsichtlich Digitalisierung sind wir führend und werden manches Mal auch um Beiträge zu diesem Thema gebeten.
Und den nächsten Schritt wollen wir auch gehen: flexible Arbeitszeiten. Ich kenne nur wenige Zoos, die das bislang schon in allen Bereichen umsetzen. Und wir wollen das tun, auch wieder in der Verantwortung und Selbstorganisation unserer Bereichsleiter. Ich hoffe und wünsche, dass der Allwetterzoo Münster einen Quantensprung nach vorne gemacht hat.
nc360°: Haben Sie sich im agilen Prozess so weit freigeschwommen, dass Sie am Ziel sind? Oder stehen auch künftig Reviews und kritische Rückmeldungen durch neutrale Beobachter von außen an?
Dr. Schehka: So weit werden wir hoffentlich nie sein! Dann wären wir betriebsblind. Das war auch ein Aha-Moment in der Zusammenarbeit mit Uwe Rotermund. Oft haben wir am Ende eines Klärungsprozesses gedacht: „Wieso haben wir das nicht gesehen? Das liegt doch auf der Hand!“ Aber dafür steckt man zu tief drin und braucht die neutrale Begleitung von außen.
Ich bin überzeugt, dass das Lernen nie aufhört. Wenn man seine Anforderungen immer wieder neu ausrichtet und seine Ziele neu steckt, hat man auch immer wieder Bedarf, den Prozess anzupassen.
nc360°: Vielen Dank für das Gespräch!
noventum consulting GmbH
Münsterstraße 111
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