Kooperation schlägt Wettbewerb
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Organisationsentwicklung, People & Culture
Ist Wettbewerb der „Motor des Fortschritts“? Seit Adam Smith glauben wir zu wissen, dass die Antwort auf diese Frage „ja“ lautet. Laut Smith führt das „eigennützig-rationale Streben des einzelnen Wettbewerbers nach maximalem Gewinn zugleich zu steigendem Gemeinwohl“. Die Ideen von Smith wurden von zahlreichen Wirtschaftstheoretikern aufgegriffen und verfeinert. An dieser Stelle sei das Modell des „dynamischen Wettbewerbs“ von John M. Clark erwähnt, das von Wolfgang Kerber zur „evolutorischen Wettbewerbstheorie“ weiterentwickelt wurde.
Aus diesen Vorstellungen hat sich in unserer Gesellschaft eine regelrechte Wettbewerbsideologie entwickelt. Wir schicken unsere Kinder auf Schulen, in denen ihre Wettbewerbsfähigkeit mittels Noten gemessen wird. Manager werden nicht müde, den Konkurrenzkampf als Krieg zu bezeichnen und Mitarbeiter sehen ihre Kollegen als Wettbewerber, die es möglichst auszustechen gilt im Kampf um die Sprossen der Karriereleiter. Diese Ideologie zu hinterfragen, ist natürlich ein gewagtes Unterfangen.
Wolfgang Kerber wendet in seiner evolutorischen Wettbewerbstheorie die von Charles Darwin entdeckten Mechanismen der natürlichen Selektion auf die Wirtschaft an. Ein Anbieter bringt ein Produkt auf den Markt, das sich dem Überlebenskampf gegen vergleichbare Produkte um die Gunst des Konsumenten stellen muss. Schneidet das Produkt bei diesem Kampf nicht gut genug ab, so variiert der Anbieter sein Produkt hinsichtlich Preis und/oder Qualität, auf dass es in der Konsumentengunst steigen möge. Es handelt sich oberflächlich betrachtet um den gleichen Mechanismus, der dazu führt, dass Lebewesen (entsprechen Produkte) durch natürliche Zuchtwahl immer besser an die Umwelt (entspricht dem Markt) angepasst werden, was Darwin in der Phrase „Survival of the Fittest“ zusammenfasste. Auf diese Weise werden Lebewesen immer komplexer, wie auch das Wissen des Anbieters um die Kundenbedürfnisse, was sich in den Produkten niederschlägt.
Dummerweise ist die Evolutionstheorie die wohl am häufigsten missverstandene wissenschaftliche Theorie überhaupt – mit fatalen Folgen. Zunächst einmal sollte man sich anschauen, worauf die Mechanismen der natürlichen Selektion überhaupt wirken.
So glaubten die Nationalsozialisten, die natürliche Selektion wirke auf Rassen, weshalb sie als Herrenmenschen ein natürliches Recht auf die Unterdrückung und sogar Auslöschung der von ihnen als solche betrachteten Untermenschen hätten. Die Folgen sind bekannt.
Heute wissen wir, dass die natürliche Selektion weder auf Rassen, noch nicht einmal auf einzelne Lebewesen, sondern auf Replikatoren wirkt. Dabei handelt es sich um Informationseinheiten mit der Fähigkeit zur Replikation. Im Falle von Lebewesen sind dies die Gene, die den Bauplan des Lebewesens bilden. Ein Gen, das dazu führt, dass das Lebewesen viele Nachkommen hat, die ebenfalls das fortpflanzungsfähige Alter erreichen, wird sich in der Population verbreiten, d.h. es wird häufig repliziert. Ein solches Gen setzt sich also gegenüber seinen Konkurrenten durch, die zu einer geringeren Anzahl fortpflanzungsfähiger Nachkommen führen. Das riecht verdächtig nach Wettbewerb, was durch den Titel des Buches von Richard Dawkins „Das egoistische Gen“ bestärkt wird.
Doch sind Gene wirklich „egoistisch“? Ein Gen für lange Beine beispielsweise „harmoniert“ ausgezeichnet mit den übrigen Genen einer Giraffe, für einen Maulwurf hingegen wäre ein solches Gen eher hinderlich – um es vorsichtig auszudrücken. Der Wettbewerb zwischen Genen besteht also darin, welches am besten mit den übrigen Genen des Lebewesens kooperiert. Gene für die Bildung von Muskeln würden keinen Sinn machen, wenn es nicht Gene für die Bildung eines Nervensystems gäbe, das die Muskeln steuert. Ohne die Kooperation von Genen gäbe es keine komplexen Lebewesen, die sich über Wettbewerb und Kooperation Gedanken machen könnten. Kein Gen verfügt über Bewusstsein, die Kooperation von Genen führt jedoch zu Lebewesen mit dieser Eigenschaft. Kooperation erzeugt also neue Eigenschaften, die keiner der an der Kooperation Beteiligten aufweist. Dieses Phänomen bezeichnet man als „Emergenz“.
Genau dieses Phänomen kann man in der Wirtschaft beob-achten. In diesem Fall sind die Replikatoren keine Gene, sondern Meme, also Informationseinheiten, die sich von Gehirn zu Gehirn kopieren. Dazu ein Beispiel: Es existieren Meme, wie man die Motorelektronik eines Autos programmiert, wie man die Kunststoffe für das Cockpit synthetisiert, wie man Metall zu einer Karosserie formt und eine große Anzahl weiterer Meme, die man zur Herstellung eines Automobils braucht. Nur durch die Kooperation dieser Meme, über die in ihrer Gesamtheit kein einzelner Mensch verfügt, entsteht etwas Neues – ein Ding, mit dem man fahren kann.
Die wirtschaftstheoretischen Grundlagen der Wettbewerbs-ideologie sind also durchaus fragwürdig, weil Produkte ebenso wenig wie Rassen oder Lebewesen Replikatoren sind, auf die die natürliche Selektion wirkt. Stattdessen wirkt sie auf die Meme – die Baupläne der Produkte, in Analogie zu den Genen – den Bauplänen der Lebewesen. Und nur durch die Kooperation dieser Meme entsteht etwas Neues. Diese Kooperation bildete die Grundlage für den Fortschritt unserer Zivilisation.
Wie sieht es nun konkret mit der Nützlichkeit des Wettbewerbs zwischen Unternehmen aus, der angeblich zu Innovation und Fortschritt führt?
Dazu meint der Paypal-Mitgründer und erster Investor bei Facebook, Peter Thiel, dass Wettbewerb grundsätzlich schädlich für Unternehmen sei. Letztere seien nur dann erfolgreich, wenn sie sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten, d.h. gut darin sind, Wettbewerb zu vermeiden. Hohe Umsatzrenditen kann nur derjenige erzielen, der etwas grundsätzlich Neues erfindet (siehe Kooperation von Memen) und so, zumindest für eine gewisse Zeit, keine Wettbewerber im Markt hat. Mit einem Allerweltsprodukt lässt sich auch durch Variation im Sinne Kerbers in den allermeisten Fällen kein Blumentopf gewinnen.
Wettbewerb führt demnach zu einer Vermeidungsstrategie ähnlich wie Schmerzen und Angst dazu führen, dass der Betroffene Anstrengungen unternimmt, diese „Zustände“ zu vermeiden. Obwohl Schmerz und Angst in dem Sinne „gut“ sind, dass sie uns in den meisten Fällen vor größeren Schäden bewahren, käme wohl niemand auf die Idee, eine Ideologie daraus zu konstruieren. Wir wollen sicherlich nicht in einer Schmerz- oder Angstkultur leben, warum sollten wir uns dann mit einer Wettbewerbskultur einfach abfinden, d.h. mit einem Zustand, den wir permanent vermeiden wollen?
Wenn also Unternehmen gut daran tun, Anstrengungen zu unternehmen, Wettbewerb zu vermeiden, wie sieht es dann innerhalb des Unternehmens aus? Ist es für den einzelnen Mitarbeiter eine bessere Strategie, die Kollegen als Wettbewerber zu sehen oder sollte er stattdessen mit ihnen kooperieren?
Dieser Frage ist der Organisationspsychologe Adam Grant nachgegangen. Er untersuchte den beruflichen Erfolg von Managern, Vertriebsmitarbeitern und Studenten in Dutzenden Studien und zwar in Abhängigkeit vom Grad ihrer Hilfsbereitschaft. Grundsätzlich werden hierbei drei sogenannte Reziprozitätstypen unterschieden:
Geber helfen, wenn ihre Kosten für die gewährte Hilfe niedriger sind als der daraus resultierende Profit des Anderen.
Tauscher sind auf Ausgleich bedacht. Sie möchten aber mindestens soviel zurückbekommen, wie sie investiert haben.
Nehmer helfen, wenn sie davon überzeugt sind, mehr zurückzubekommen, als sie investieren.
Grant fand in allen Studien die gleiche Reihenfolge dieser Reziprozitätstypen auf der Karriereleiter (von oben nach unten): Geber, gefolgt von gleichsam erfolgreichen Nehmern und Tauschern im Mittelfeld und wiederum Gebern als Schlusslicht. Die erfolgreichen und erfolglosen Geber unterscheiden sich darin, dass erstere sich nicht ausnutzen lassen, während letztere bedingungslos immer helfen.
Der Erfolg dieser Reziprozitätstypen kann mit Hilfe der Spieltheorie quantitativ nachvollzogen werden. Dabei stellt sich heraus, dass das für die Karriere des Einzelnen förderliche Geber-, d.h. Kooperationsverhalten, auch für das Unternehmen zur maximalen Produktivität führt. Daraus wiederum lässt sich ableiten, dass die Hauptaufgabe von Führungskräften darin besteht, ein Klima der Kooperation im Unternehmen zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Die dazu notwendigen Maßnahmen können ebenfalls aus der Spieltheorie abgeleitet werden. Die wichtigste Komponente ist dabei die Schaffung einer Vertrauenskultur, deren wirtschaftlicher Erfolg durch die Arbeiten des Great Place to Work® Instituts belegt werden konnte.