Eine agile Bank – ein Paradoxon?
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Wie agil kann und muss eine Bank sein? Diese Frage diskutiere ich viel mit Verantwortlichen bei Sparkassen, Volksbanken, Großbanken, Privatbanken etc. Bemerkenswert dabei ist, dass sich diese Organisationen meist mit sehr viel Unsicherheit dem Thema Agilität und Selbstorganisation nähern, obwohl gerade Unternehmen dieser Branche gut daran täten, sich schnell zu agilisieren, denn die Umwelteinflüsse demontieren ihr Geschäftsmodell mit brutaler Macht. Oft wird von der Draghi Zange gesprochen, die die Banken Zwischen Niedrigzins und Regulatorik zu zerquetschen droht. Viele Banken reagieren recht phantasielos mit Kostensenkungsspiralen und wenn das nicht mehr hilft, mit Fusionen. Echte Innovation und Wachstum durch neue Geschäftsmodelle sind eher die Seltenheit. Das haben viele nicht gelernt, insbesondere ist man bei Bankens auch nicht vertraut mit Agilität und Selbstorganisation, einer heute entscheidenden Voraussetzung für Innovationsgeschwindigkeit. Stattdessen wird die durchaus mächtige Regulatorik als Rechtfertigung für alte Pyramiden und überzogene Kontrollmechanismen gerne genommen. Müssen sich viele Banken also Ihrem Schicksal ergeben?
Vor einigen Monaten habe ich mich auf die Suche nach einer agilen Bank begeben. Ich wollte wissen, ob die Unagilität von Banken tatsächlich ein Naturgesetz ist oder ob es auch die mutigen Banken gibt, die Agilität riskieren. Ja, riskieren, denn Agilität heißt scheinbar Kontrollverlust und Kontrollverlust ist ein Tabu für Banken, oder? Eine gute Quelle für die Suche nach einer agilen Bank ist das Great Place to Work ® Institut. Banken, die sich zu den hundert besten Arbeitgebern Deutschlands zählen, haben zumindest ein hohes Maß an Vertrauenskultur etabliert und das ist schon eine gute Voraussetzung für den immer wieder beschworenen „agile mindset“. Aber ich wollte ganz speziell eine agile Bank mit einem hohen Maß an Selbstorganisation, Transparenz, Partizipation, Innovation, Dezentralität, Sinnorientierung, Motivation, Leistungsorientierung und natürlich Vertrauen finden. So befragte ich unter anderem meinen Geschäftsfreund Valentin Nowotny, Autor des Buches „Agile Unternehmen – nur was sich bewegt, kann sich verbessern“ und Reisender in Sachen Agilitätsberatung und -coaching. Auf meine Frage nach einer agilen Bank nannte er mir die Hanseatic Bank in Hamburg, welche sich auf einem guten Weg dorthin befände.
Dieses Unternehmen wollte ich kennenlernen, auch weil eine mir nahestehende Bank genauso neugierig war wie ich und wir der Hanseatic Bank also gemeinsam einen ausführlichen Besuch abstatten durften. Die Hanseatic Bank ist ein Tochterunternehmen der Otto Group und der französischen Bank Société Général. Mit dem White Book der „digitalen Transition“, später weiterentwickelt zur „digitale Transformation“ wurde dort 2013 der Grundstein für eine aus meiner Sicht außergewöhnlich agile Unternehmenskultur gelegt. Die Hanseatic Bank nimmt seitdem an Bankathons teil, führt „Disrupt Us“ Workshops durch, engagiert sich in „Solution Labs“, betreibt „Accelation Hubs“ und hat Anfang 2018 konsequent cross-funktionale Team aufgestellt. Das Konzept der cross-funktionalen Teams orientiert sich an dem Bild eines Verkehrsflughafens, wobei die direkt wertschöpfenden Bereiche entlang der wichtigsten Kundenbedürfnissen als „Flight Crew“ aufgestellt sind. Die „Flight Crew“ ist permanent besetzt, bündelt alle Kompetenzen zur Erfüllung des Kundenbedürfnisses und ist bzgl. seiner Entscheidungen weitgehend autark, wobei sie sich an den Unternehmenszielen orientiert. Weitere wichtige Funktionen in der bildlichen Organisation der Hanseatic Bank sind der „Tower“, der „Lotse“ sowie der gesamte Flughafen. Diese prägnanten Bilder machen für mich deutlich, worum es in diesem Organisationsmodell geht, und zwar um ein Höchstmaß an Verantwortungsübernahme durch die Organisationsbereiche, die Kundennutzen schaffen und um Management als zentrale Dienstleistung für die kundennahen Bereiche und damit für die Kunden. Das entspricht genau meinem Bild von Pyramide versus Pfirsich, siehe mein Blogartikel vom 18.12.2016.
Bei der Etablierung der vielen Organisationsmechanismen für dieses revolutionäre Modell hat die Hanseatic Bank einige Elemente und Methoden des agilen Werkzeugkastens benutzt, wobei mein oben schon erwähnter Geschäftsfreund Valentin Nowotny durch Beratung des HR-Bereichs mitgewirkt hat. So sind z.B. die oben erwähnten „Lotsen“ agile Berater, die dem gesamten Unternehmen bei der Anwendung agiler Arbeitsmethoden zur Verfügung stehen. Bei der Einführung von Agilität und einem geänderten Organisationsmodell hat die Hanseatic Bank sehr viel Wert auf einen wirkungsvollen Kulturwandel mit starkem Fokus auf gemeinsamen Werten und Zielen und auf ein gutes Changemanagement gelegt. Neben all den beeindruckenden und ungewöhnlichen Organisationskonzepten hat mich das Team um Geschäftsführer Michel Billon auch dadurch beeindruckt, dass sie konsequent und glaubwürdig eine agile Vertrauens- und Leistungskultur als Basis für die überlebenswichtige digitale Transformation geschaffen haben. Und das selbstverständlich unter den Rahmenbedingungen der oben genannten Draghi Zange. Mich überrascht nicht, dass diese Bank auch wirtschaftlich sehr gut dasteht.
Besonders hängen geblieben bei dem Besuch dieser agilen Bank sind mir die mit charmantem französischen Akzent gesprochenen Worte von Michel Billon „Wir machen hier eigentlich nicht Transformation, sondern Revolution“. Ich bin dankbar, dass ich diese friedliche Revolution ein wenig kennenlernen durfte und dass wir so gastfreundlich empfangen wurden. Auch das zeichnet agile Unternehmen aus. Sie sind im gesamten Business-Öko-System sehr kooperativ und immer auf der Suche nach Möglichkeiten des Austauschs und des Lernens.