Agile Unternehmenskultur in Japan?

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Mit dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft BVMW fahre ich jährlich unter dem Motto „Horizonte“ im Rahmen einer Unternehmerreise ins Ausland, um dort andere Geschäftsmodelle und Arbeitsweisen zu erkunden. Zweck dieser Reisen: Horizonterweiterung. Vor wenigen Wochen stand Japan auf der Agenda, ein Land in dem ich zuvor noch nie war und dessen Kultur und Arbeitswelt mir bisher recht unbekannt war. Gemeinsam mit den 12 Mitreisenden Unternehmerinnen und Unternehmern durfte ich in 8 Tagen eine fantastische Mischung aus Business, Kultur und Lifestyle erleben. So haben wir die Ehre gehabt, mit dem deutschen Botschafter und seinen Mitarbeitern ein ausführliches Gespräch zu führen, haben uns ausführlich mit deutschen und japanischen Wirtschaftsverbänden ausgetauscht und haben bei einigen Unternehmensbesuchen Arbeitsweisen und Unternehmenskulturen live erleben dürfen. Dabei hat mich einiges überrascht.

In Deutschland sind meine Diskussionen mit deutschen Unternehmern oft durch die Erkenntnis, dass mit der digitalen Transformation auch eine unternehmenskulturelle Transformation erforderlich ist, geprägt. Dabei geht es meist um agiles Projektmanagement und zunehmend auch um agile Organisationsentwicklung. Scrum und Kanban als Methodenbaukasten setzen sich bei uns zunehmend durch und bringen spürbar Dynamik in die hiesigen Unternehmen. Diese Methoden basieren auf japanischen Arbeitsweisen, insbesondere auf den bei Toyota in den 80er Jahren eingeführten Produktionsmethoden. Diese Methoden wurden von dem US-Amerikaner Jeff Sutherland später auf Softwareentwicklungsprojekte in den USA in den 90er-Jahren unter der Bezeichnung „Scrum“ adaptiert und ergänzt. In den letzten Jahren erobert Scrum ganze Organisationen. Der Siegeszug und der Nutzen von Scrum ist in dem Buch „Die Scrum Revolution“ von Jeff Sutherland, das ich mir in den letzten Tagen auf die Ohren gesetzt habe, in der Ausgabe von 2015 anschaulich beschrieben.

Ich hatte also erwartet, dass japanische Unternehmen echte Experten in Sachen Agilität und Scrum sind. Umso überraschter war ich, dass sowohl das agile Vokabular wie auch die Methodik in den Unternehmen, die wir besucht haben, weitgehend unbekannt waren. Auch die Führungsprinzipien von Vertrauens- und Leistungskultur in dezentralen Netzwerkstrukturen schienen nicht verbreitet zu sein. Stattdessen trafen wir fast überall auf die Überzeugung, dass streng hierarchische Strukturen in Pyramidenform Garant für Produktivität, Zuverlässigkeit und Qualität sind. Und tatsächlich beeindruckt Japan durch eine perfekte Organisation in allen Lebensbereichen, durch Pünktlichkeit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit und vielen „deutschen Tugenden“, die in Japan viel deutscher als deutsch waren. Klassische Tugenden der Industriekultur. Innovation, Anpassungsfähigkeit und Kreativität müssen in diesem System von ganz oben angeordnet werden.

Erkenntnisreich war in diesem Zusammenhang ein Unternehmensbesuch bei dem LKW-Produzenten Mitsubishi Fuso, einem Unternehmen der Daimler Gruppe. Dort hatten wir die Chance mit zwei deutschen Expat-Managern über die kulturellen Unterschiede deutscher und japanischer Unternehmen zu diskutieren. In diesem Unternehmen tauchten dann auch mal wieder die Begriffe wie kultureller Wandel und Changemanagement auf, Begriffe die anderorts auf Unverständnis stießen. Bei Mitsubishi Fuso wird nach meiner Wahrnehmung das Ziel verfolgt, die Vorteile der japanischen Unternehmenskultur mit der sich selbst verordneten Agilität eines deutschen Unternehmens erfolgreich zu verbinden. An dieser Stelle hatte ich den Daimler Managern die Frage erlaubt, was wir von den japanischen Unternehmen lernen können. Schließlich hat die hierarchische Organisationsform sicher auch heute noch seine Stärken. Als Antwort erhielt ich die hohe Verantwortungsübernahme durch jeden Mitarbeiter, der unbedingte Wille zur Fertigstellung einer zugeteilten Aufgabe, maximale Gründlichkeit und Präzision und ein sehr aufopferungsvoller Fleiß, der in seinen negativen Ausprägungen schon mal zu einer schlechten Work-Life-Balance führt.

An dieser Stelle wurde ich an ein Konzept erinnert, das ich kürzlich in dem Buch „XLR8“ vom dem Changemanagement Papst John P. Kotter gelesen bzw. gehört hatte. John P. Kotter beschreibt dabei das „duale System“, welches hierarchische Organisationselemente mit agilen Formen kombiniert, je nach Grad der benötigten Dynamik. Genau diese Idee verfolgen auch einige deutsche Topmanager – hierarchisches Management in traditionellen Bereichen und agile Organisationsform in Bereichen, in denen Dynamik und „Time-to-Market“ entscheidend ist. Spannend ist dabei die Schnittstelle zwischen beiden Systemen. John P. Kotter erwähnt in seinem Buch zwar, dass genau diese Schnittstelle eine große Herausforderung ist, deutet Lösungen aber nur sehr rudimentär an. Hier existieren offensichtlich keine Patentrezepte.

Zurück nach Japan. Als unsere Unternehmergruppe schon fast den Glauben an agile japanische Unternehmen verloren hatten, haben wir in unserem letzten Unternehmensbesuch bei dem rein japanischen Mittelständler HILLTOP in Kyoto eine Organisation gefunden, bei der Menschenorientierung, Vertrauen, Freiheit und Agilität in vorbildlicher Weise ausgeprägt waren – ein bunter Vogel in der japanischen Wirtschaft. Damit ist HILLTOP außerordentlich erfolgreich und hochattraktiv für Menschen, die sich entfalten möchten. In einem Gespräch mit einem dort angestellten französisch-stämmigen Ingenieur bekamen wir die Aussage „ich liebe Japan, könnte aber niemals in einem normalen japanischen Unternehmen arbeiten. Deshalb bin ich hier.“

Abseits der sehr erkenntnisreichen Geschäftsbesuche haben wir in unserer Gruppe die unglaublich vielseitige und reichhaltige Kultur und Religion, die großartige Landschaft, die vollendete Gastfreundschaft, die perfekte Serviceorientierung, vielfältige fischig-kulinarische Leckerbissen und den ganzen Flair in vollen (und stets pünktlichen) Zügen genossen. Eine Reise mit einem hohen Grad an Horizonterweiterung mit vielen Denkanstößen in puncto Führung und Management.

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