Zu erfolgreichen M&A Transaktionen gehört auch eine vollständige IT-Systemintegration
Die Ablösung kleinerer IT-Schattensysteme wird bei Mergern oft aufgeschoben. Diese machen später Probleme.
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IT & Management Consulting, IT M&A, IT Strategy, IT-Sourcing
Bei der Fusion zweier Unternehmen wird gewöhnlich aus zwei technischen Welten eine gemeinsame. Höhere Effizienz, Skalierungseffekte sowie der Grundgedanke „ein Unternehmen – ein System“ sind Leitpunkte jeder Integration. Das ist bei der Fusion von gleichartigen Unternehmen gut abzulesen, wenn diese nicht ein anderes Geschäftsmodell, sondern vor allem eine verbesserte Marktposition zum Ziel haben. Da eine großangelegte IT-Integration nicht auf jeden Nebenschauplatz warten kann, werden oftmals kleinere Spezialanwendungen mitgeschleppt und fristen ab sofort ein Inseldasein. Dieser Pragmatismus hilft zunächst, kann aber in der Folge zu Problemen führen.
Das natürliche Ziel jeder Fusion ist „Ein Unternehmen – ein System“
Fusionen und Übernahmen sind in der Durchführung ein komplexes System von großen Entscheidungen und kleinen Kompromissen. Das betrifft auch die Integration der IT in einem System. Die Annahme, dass mit einer Fusion oder Übernahme immer der stärkere Partner mit den besseren IT-Systemen den künftigen neuen Rahmen vorgibt, ist unrealistisch. Bei mancher Fusion setzt das künftige Unternehmen schlicht auf die IT-Systeme des größeren Partners, seien sie jetzt „besser“ oder nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht zuletzt ist es leichter, die Führung zu übernehmen, wenn in vertrauter Systemumgebung gearbeitet wird und „die anderen“ die Anpassung vollziehen müssen.
Die Rationalität solcher Vorgänge ist manchmal mehr politisch als kaufmännisch oder technologisch. Und dennoch ist sie unausweichlich, das Ziel muss auch für die IT sein: „Ein Unternehmen – ein System“.
Warum der „Big Bang“ selten 100% Vereinheitlichung bringt – Vorteile der „Schattenanwendungen“
Auch wenn zwei Unternehmen miteinander fusionieren, die schon vorher das gleiche Geschäftsmodell hatten, sind doch die Details der konkreten Prozesse und ihrer prozessunterstützenden IT-Anwendungen häufig verschieden. Jedes Unternehmen bringt seine eigenen Kunden, seine eigenen Produkte und Prozesse in die Fusion mit ein und der Konsolidierungsaufwand ist oftmals erheblich. Fusionen sind daher betriebswirtschaftliche und technologische Großprojekte, die nicht selten Jahre dauern, bis sie als abgeschlossen gelten können.
Warum dürfen kleinere IT-Spezialanwendungen dennoch oftmals weiterlaufen, auch wenn das Ziel der Fusion eine vollständige Vereinheitlichung ist?
Der Grund für Unternehmenszusammenschlüsse ist häufig ein kaufmännischer. Die Entscheidungen fallen auf Konzernebene und im Stadium der frühen Planungen wird die IT selten mit einbezogen, zum Beispiel im Rahmen der Due Diligence. Für die IT-Verantwortlichen hat das eine knappe Vorlaufzeit zur Folge und ohne entsprechende Roadmap sind oft generelle Lösungen die Konsequenz, die nicht jede Frage berücksichtigen können. Die weitere Nutzung bewährter, bereits vorhandener IT-Prozesse und -Werkzeuge kann die Komplexität der Integration insbesondere dann entschärfen, wenn diese nicht unmittelbar die Funktionalität des künftigen Kernsystems beeinträchtigen.
Der hohe Zeitdruck bei IT-Systemintegrationen führt im Einzelfall dazu, dass diese nicht vollständig durchgeführt werden können und kleinere Systeme schadlos den Geschäftsbetrieb weiter unterstützen dürfen. Auch begrenzte Ressourcen oder technologische Hürden spielen eine Rolle bei diesem Vorgehen. In der Folge werden auch die Prozesse nicht vollständig übernommen und die vorhandenen prozessunterstützenden Werkzeuge werden weiter genutzt. Sie laufen dann als fertige, perfekt abgestimmte IT-Prozesse weiter, sind aber technologisch nicht in das Zielsystem integriert. Eine solche vollständige technologische Integration in das Zielsystem ist oftmals auch nicht der Plan.
Das Beispiel Softwarewartung
„Unentbehrliche“ Anwendungen finden sich z.B. im Umfeld von Softwarewartung, -dokumentation und -anpassung, für die viele Unternehmen Eigenanwendungen geschrieben haben, die ihre konkrete Systemlandschaft bedienen. Der komplette Softwarelifecycle von der Anforderung über Umsetzung, Wartung und zugehörige Dokumentation werden unter Umständen in solchen Tools gemanagt. Als qualitätssichernde Prozesse und Tools zur Softwarepflege sind diese Anwendungen geschaffen worden. Sie haben ihren technischen und betriebswirtschaftlichen Wert darin, dass sie auch auf längere Sicht die Prozesse zur Pflege und Wartung der Altsysteme gewährleisten. Auf diese Art und Weise sind sie nicht einfach abzulösen. Eine vollständige Standardisierung im IT-Zielsystem gehört zu den Langläufern jeder Fusion. Gibt es in der Zielumgebung für ein bewährtes Feature kein entsprechendes Tool, können Anwendungen dieser Art noch lange nach dem Zusammenschluss überleben.
Welche Nachteile oder Kosten bringen die „Schattenanwendungen“?
Kleinere, das Kernsystem eines Unternehmens unterstützende Anwendungen sind nützlich, können aber langfristig zu Problemen führen.
Die Know-how Frage: die Reichweite von Spezialanwendungen wird im fusionierten Unternehmen eher abnehmen und die Zahl der Mitarbeiter, die sie bedienen können, wird nach und nach kleiner. Können nur noch einige Mitarbeiter diese Anwendungen administrieren oder anpassen, entsteht eine Know-how Monopolsituation. Beim Ausscheiden solcher Experten wir das zum Problem.
Das Support-Problem: Anwendungsentwicklung und Anwendungsunterstützung im fusionierten Unternehmen fokussieren sich vor allem auf das Kernsystem. Die Integration des Kernsystems ist die wichtigste Aufgabe einer Fusion und diese bindet Know-how und Ressourcen. Der Support kleinerer Legacy-Anwendungen („Restanwendungen“) muss dann durch die "Inselbewohner" erbracht werden.
Besteht eine funktionale Verbindung von Legacy-Anwendungen und Kernsystem, belasten diese u.U. jeden künftigen Releasewechsel durch zusätzlichen Anpassungsaufwand. Damit wird die Weiterentwicklung des Hauptsystems erschwert.
Wird die Idee „Ein Unternehmen – ein System“ langfristig technologisch unterlaufen, belastet das auch andere Integrationsaufgaben des fusionierten Unternehmens. Das Selbstverständnis der Mitarbeitenden braucht so viel soziale Gemeinsamkeit wie möglich, gemeinsame betriebswirtschaftliche Prozesse und eine gemeinschaftliche technische Ausstattung.
Das Ende der Schattenanwendungen kann auch eine Aufwertung bedeuten
Das Überleben kleinerer Anwendungen bei einer Fusion im Windschatten großer IT-Systemvereinheitlichungen ist plausibel, nützlich und manchmal unvermeidlich. Dennoch muss das Ziel sein, sie entweder nach und nach abzulösen oder sie offiziell in die Reihe der anerkannten und unternehmensweit genutzten Anwendungen aufzunehmen. Damit werden sie zum Teil einer künftigen einheitlichen Systemlandschaft des Unternehmens.
In einem systematischen Prozess sollten die Gründe für das Überleben der Legacy-Systeme gefunden, analysiert und beseitigt werden, seien sie politisch, kaufmännisch oder technologisch.