Offshore Outsourcing Projekte müssen nicht an kulturellen Unterschieden scheitern
Ein erfolgreiches Providermanagement in internationalen Projekten setzt eine gründliche Vorbereitung aller Akteure voraus
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IT & Management Consulting, IT-Sourcing, Provider Management, Vorbereitung der Organisation
Im Laufe der letzten Jahre haben immer mehr IT-Dienstleister Services in Länder mit niedrigerem Lohnniveau, insbesondere nach Indien, verlagert. Ziel dieses Offshorings ist es, dem gestiegenen Wettbewerbs- und Kostendruck der Märkte gerecht zu werden. Viele Unternehmen mussten nach dem Outsourcing jedoch feststellen, dass sich die erhofften Einsparpotenziale nur zum Teil realisieren lassen. So groß wie die betriebswirtschaftlichen Anreize auch sind, so hoch sind die Anforderungen, die an das Provider-Management dieser Offshore-Projekte zu stellen sind. Bedingt durch interkulturelle Differenzen können bei solchen Projekten gravierende Ineffizienzen auftreten. Neben rein organisatorischen Herausforderungen sind es insbesondere die großen Kulturunterschiede, welche den Erfolg eines Offshore-Projekts entscheidend beeinflussen.
Die folgende Abbildung visualisiert acht wissenschaftlich valide Kulturdimensionen (Kulturdimensionen nach Trompenaars, Hall und Hofstede) und zeigt, wie stark sich das deutsche Kulturprofil vom indischen unterscheidet.
Die Ausprägungen in jeder der dargestellten Dimension sind gänzlich unterschiedlich und haben maßgeblichen Einfluss auf die Werte und Verhaltensweisen der Menschen beider Länder. Aber was konkret verbirgt sich hinter den jeweiligen Kulturdimensionen? Und warum haben sie einen so großen Einfluss auf die alltägliche Zusammenarbeit?
Im Folgenden werden beispielhaft drei dieser Kulturdimensionen beschrieben und mit jeweils einem selbst erfahrenen Praxisbeispiel aus der Zusammenarbeit mit indischen Kollegen veranschaulicht.
Kulturdimension: Hierarchie – Machtdistanz
Beschreibung/ Definition nach Geert Hofstede: Das Maß an Machtdistanz drückt die Bereitschaft aus, ungleiche Machtverteilung in einer Gesellschaft hinzunehmen. Ein hoher Wert drückt die Akzeptanz des Kräfteungleichgewichts aus, bei dem die Menschen "ihren Platz" im System verstehen und akzeptieren. Hierarchische Strukturen werden vollkommen akzeptiert. Eine geringe Machtdistanz steht hingegen dafür, dass die Macht gleichmäßiger verteilt ist. Mit Blick auf das Kulturprofil zeigt sich, dass Indien zu den Ländern mit einer hohen Machtdistanz gehört. Das Hierarchiedenken in Indien ist demnach deutlich stärker ausgeprägt als in Deutschland.
Das Praxisbeispiel: Während eines Meetings zwischen dem on-site Manager des indischen Providers und den für IT Service Management Prozesse verantwortlichen Mitarbeitern des deutschen Kunden kommt es zu Diskussionen über die Leistung des Providers. Die deutschen Kollegen führen aus, welche Leistungen sie erwarten, welche Schwachstellen es aktuell gibt und wie die vertraglich vereinbarten Services durch den Provider zukünftig erbracht werden sollen.
Aus deutscher Sicht verläuft das Gespräch zunächst sehr konstruktiv und strukturiert. Dies ändert sich, als der hochrangige indische Manager das Wort ergreift und sämtliche Kritik vehement von sich weist. Die Begründung klingt für deutsche Ohren absurd: Es sei ihm egal, was die Anwesenden ihm sagen, er rede nur mit hierarchisch gleich oder höher gestellten Managern. Prozessverantwortliche haben ihm nichts zu sagen.
Mit diesen Worten verlässt er den Raum und sucht umgehend den deutschen Manager auf.
Im anschließenden Gespräch, an dem auch die Prozessverantwortlichen teilnehmen, stellt der deutsche Manager klar, dass seine Mitarbeiter für bestimmte Themen in seinem Namen sprechen und die volle Kompetenz und Verantwortung durch ihn erhalten.
Diese Klärung führt dazu, dass zukünftig die Meetings auch mit schwierigen Themen deutlich besser verlaufen und der indische Manager keine Untergebenen, sondern Gleichgestellte in den einzelnen Kollegen sieht.
Kulturdimension: Zeit
Beschreibung/ Definition nach Edward T. Hall: Diese Dimension stellt die Differenzierung zwischen monochronen und polychronen Kulturen dar. Monochrone Zeit bedeutet, nur auf eine Aufgabe pro Zeiteinheit zu achten, während polychrone Zeit bedeutet, in mehrere Aufgaben zur selben Zeit involviert zu sein. Monochrone Kulturen sehen die Zeit als gerade Straße, als Linie, die in einzelne Abschnitte eingeteilt werden und geplant werden kann. Zeit ist ein kostbares Gut, das verloren, gewonnen, gespart oder ausgegeben werden kann. Solche Menschen halten sich streng an Pläne und Strukturen. Polychrone Menschen hingegen erledigen auch gerne mal kulturkreistypisch mehrere Dinge zur selben Zeit. Polychrone Menschen versuchen sich ebenso wie monochrone Menschen an Pläne und Daten zu halten, schaffen dies aber naturbedingt nicht mit gleichem Erfolg.
Das Praxisbeispiel: Dass deutsche Projektleiter immer wieder fragen „Wer macht was bis wann?“ ist für die indischen Projektmitarbeiter nur schwer nachvollziehbar.
Auf das „Was?“ kann man sich meistens noch schnell einigen, auf die Frage „Wer?“ bekommt man häufig zumindest ein Team genannt, selten einen einzelnen Ansprechpartner, das „Bis wann?“ führt allerdings regelmäßig zu Schwierigkeiten. Mit viel Beharrlichkeit erhält man auch hierzu eine Aussage oder muss selber eine Vorgabe machen. Dieses Datum ist unserer Erfahrung nach allerdings nur eine vage Idee und nicht bindend. Auf Nachfrage am genannten Datum wird erklärt, dass man an der Aufgabe noch nicht arbeiten konnte, weil sich um Anderes gekümmert wurde. In anderen Fällen werden Ergebnisse geliefert, die nicht der Vorgabe entsprechen. Eine Erklärung dafür ist, dass der deutsche Projektmanager zunächst zufriedengestellt ist und die Aufgabe erst mit weiteren Iterationen und Diskussionen finalisiert wird.
Eine Lösung, die eine einfachere Zusammenarbeit gewährleistet und die kulturbedingten Arbeitsweisen überbrückt, ist die, dass der deutsche Projektleiter regelmäßig und häufig (möglicherweise mehrmals täglich) nach dem Fortschritt der Arbeitspakete fragt. Dadurch fühlt sich der indische Kollege wertgeschätzt sowie an die Dringlichkeit der Aufgabe erinnert und der deutsche Projektleiter kann sich sicher sein, dass die Aufgabe erledigt wird und nicht aufgrund anderer Prioritäten oder offener Fragen unbearbeitet bleibt.
Kulturdimension: Unsicherheitsvermeidung
Beschreibung/ Definition nach Geert Hofstede: Bei dieser Dimension geht es um den Grad der Bedrohung, die Angehörige einer Gesellschaft bei einer ungewissen oder unbekannten Situation fühlen. Eine Gesellschaft mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung betrachtet Veränderungen oft mit Skepsis. Solch eine Gesellschaft versucht mit Regeln und Vorgaben Unsicherheiten zu begrenzen und entgegen zu wirken. Während Deutschland zu den Ländern mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung zählt, ist diese Dimension in Indien niedrig ausgeprägt.
Das Praxisbeispiel: In einem Pharmaunternehmen sind wir für den Bereich Compliance im IT-Infrastruktur-Umfeld global verantwortlich. Dabei ist es gerade aus deutscher und US-amerikanischer Sicht wichtig, dass sämtliche Regularien und Gesetze eingehalten werden. Für den indischen Provider sind diese Vorgaben sehr dehnbar.
Im Rahmen eines internen Audits haben wir festgestellt, dass ein wichtiger Schritt bei der Erstellung bestimmter Dokumentationen regelmäßig nicht ausgeführt wurde. Dieser ist für Pharma-Unternehmen allerdings sogar gesetzlich vorgeschrieben. Als wir die indischen Kollegen darüber informieren und sie nochmals auf die Dringlichkeit der Einhaltung hinweisen, reagieren sie sehr erstaunt und weisen uns darauf hin, dass sie diesen Schritt als nicht notwendig betrachten. Wir können den Ausführungen folgen, geben aber dennoch nicht nach, da das Gesetz zu befolgen ist.
Die indischen Kollegen haben dafür eine ganz einfache Lösung: Wir sollen einfach bei der Regierung anrufen, damit sie das Gesetz ändert und sie so weiterarbeiten können wie bisher.
Dieses Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich das kulturelle Verständnis im Umgang mit Regeln und Vorgaben sein kann.
Ohne interkulturelles Verständnis können Offshore Outsourcing Projekte teuer werden
Die Anekdoten, die wir im Rahmen verschiedener Outsourcing-Projekte erlebt haben, veranschaulichen, dass ohne ein gegenseitiges kulturelles Verständnis große Spannungen in der Zusammenarbeit entstehen können. Viele Unternehmen, die den Weg des Offshoring gegangen sind, sind zu der Erkenntnis gekommen, dass ein großer Teil der Einsparungen in den Lohnkosten durch zusätzlichen Kommunikations- und Managementaufwand wieder verloren gehen kann. Eine Verringerung dieser Prozessverluste und eine Verbesserung der interkulturellen Zusammenarbeit sind für diese Unternehmen daher von hoher wirtschaftlicher Bedeutung.
Interkultureller Workshop als Lösungsansatz für Probleme in Offshore Outsourcing Projekten
Basierend auf langjähriger Erfahrung in der Steuerung von indischen Providern hat noventum consulting ein Modell entwickelt, das als Praxisleitfaden im Management von Projekten mit indischen Stakeholdern dient. In Anlehnung an gängige Projektmanagementstandards (z.B. Prince) liefert das Modell und dessen Ausführungen viele praktische Empfehlungen beim Aufsetzen, Durchführen und Abschließen von Projekten mit hoher Beteiligung indischer Kollegen.
Das Modell kann ebenso für andere Kulturen Anwendung finden. Die Erarbeitung findet vor oder zu Beginn der Zusammenarbeit im Rahmen genereller Kultur-Workshops statt.
Die folgende Abbildung veranschaulicht, welche der Kulturdimensionen Einfluss auf die Umsetzung des jeweils dargestellten PM-Tools nehmen kann.
Abgeleitet aus den genannten acht Kulturdimensionen liefert das Modell für jedes dargestellte PM-Tool ganz konkrete Handlungsempfehlungen, die dabei helfen können interkulturelle Streuverluste aufzufangen.
In der folgenden Tabelle werden beispielhaft Handlungsempfehlungen für das „Entwerfen und Ernennen des Projektmanagementteams“ je Kulturdimension aufgelistet.
Trotz aller beschriebenen Hürden können Kooperationsprojekte mit indischen Providern gut und erfolgreich sein. Kulturelle Unterschiede zu kennen und in interkulturellen Trainings Herangehensweisen zu konzipieren und zu üben, ist ein guter Weg.