Die sieben Todsünden der IT-Projekte
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CIO Advisory, IT & Management Consulting, IT Strategy
„Quick Nix“ – eine Polemik gegen den weitverbreiteten Aktionismus in IT-Projekten
Der CHAOS Report der Standish Group erzählt uns seit 20 Jahren, dass IT-Projekte in deutlicher Mehrheit ihre Ziele nicht erreichen. Ob 16 % Zielerreichung 1994 oder 39 % 2012, eine sichere Wette sind IT-Projekte nicht und ob die Steigerung um 23 Prozentpunkte der letzten 20 Jahre tatsächlich das Resultat einer stärkeren Zielorientierung ist, ist durchaus anzuzweifeln.
1994, im Jahr des ersten CHAOS Reports, habe ich mein erstes IT-Projekt durchgeführt. Ziel war damals die Bewerbung unseres allwöchentlichen Film- und Themennachmittags der Studentenvereinigung der Fakultät für Mathematik und Informatik an der Technischen Universität Eindhoven. Der Erfolg der neuen Webseite war unglaublich – auch heute noch treffen sich die Studenten von „GEWIS“ jeden Donnerstag im Vereinsraum. Sie nutzen für die Planung jedoch inzwischen einen Google-Kalender.
Seitdem sind die Projekte größer geworden und mit der Größe wächst auch die Fehlerrate in Projekten. Daher wird leider immer weniger IT auf sinnvolle Beine gestellt – Aktionismus und Quick Wins beherrschen die Projektstellung und trüben den Blick auf die Zielerreichung. Sieben Todsünden werden hierbei immer wieder auf dem Altar des schnellen Erfolgs begangen.
Die Sünde des Hypes
Hypes beginnen ihr Leben gerne als gelungene Lösung von Problemen oder als innovative Marktchance. Im Laufe ihres Lebens, dem Hypecycle, werden sie von einer Randerscheinung schnell zu einem geflügelten Schlagwort. Kunden erfragen, ob Berater denn auch „XXX-Compliance“ durchführen oder auf der Wolke sind. Ist eine gewisse Dynamik erreicht, brauchen Hype-Themen keine Probleme mehr zu lösen, Effizienz zu steigern oder Kosten zu senken, sondern werden von alleine zu einem Ziel für sich. Ein Projekt, das eigentlich die Prozesseffizienz und die Entwicklungsgeschwindigkeit einer IT-Organisation erhöhen sollte, wird plötzlich zur Implementierung des Big Data Business Process Cloud Service Provider im Internet of Things.
Und ja, wir Berater sind mit schuld. Jeder Berater interpretiert gerade seine Leistungen in das aktuelle Buzzword hinein, um zu belegen, dass das älteste Implementierungskonzept (Ist-Aufnahme, Abweichungsanalyse, Spezifikation, Umsetzung) oder die langweiligste Vorgehensweise (Plan-Do-Check-Act) nicht nur alter Wein im neuen Schlauch ist. Unsere Ausrede ist natürlich, dass wir ansonsten den Auftrag nicht bekommen würden. Damit kommen wir direkt zur zweiten Sünde, der
Die Sünde der Wischi-Waschi-Ziele
Weil das Management genauso wenig wie die geplante Projektleitung einen klaren Blick auf das tatsächliche Projektziel hat, werden unmessbare und sinnlose Ziele des neuen Projektes definiert. Meistens beschreiben diese „Projektziele“ nicht, was erreicht werden soll, sondern mit welchen Methoden das Projekt sich beschäftigt. Ein Projekt zur „CMDB-Implementierung“ dient natürlich der CMDB-Implementierung und nicht etwa der Prozessoptimierung. Spezifische, realistische und messbare Ziele zu definieren, welche dann auch akzeptiert und terminiert sein müssen, ist schwer. Dass diese auch noch sinnvoll sein müssen, ist da sicher zu viel verlangt.
Die Sünde der zu strikten Planung
Beim Hausbau müssen wir es auch hinnehmen – eine perfekte Planung ist nicht möglich, Abweichungen sind nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher. Natürlich wollen wir alle keine Elbphilharmonie bauen, jedoch bringt eine starre Vorausplanung basierend auf zu geringer Informationstiefe jedes Projekt in die Bredouille. Leider passt es nicht mehr zum schnellen Innovationszyklus, eine Vorstudie einem Projekt vorzuschalten, damit meine Planung wenigstens auf stabiler Erkenntnis basiert. Sogar Frameworks wie Prince2 raten zur phasenweisen Planung. Mit Budgetierungsrunden in den meisten Firmen ist dies leider nicht kompatibel.
Die Quick-Win-Sünde
Dies ist kein reines IT-Problem, wir lassen uns leider keine Zeit mehr, Dinge richtig zu machen. Um ein Projektvorhaben durch die Tür zu bekommen, muss ein ROI innerhalb kürzester Zeit belegbar sein. Da in den meisten Fällen niemand nach Projektdurchführung den Business Case prüft (vermutlich, weil es allen Beteiligten peinlich ist), werden utopische Vorteile aufgeführt. Besonders Softwarehersteller sind in dieser Disziplin meisterhaft.
Dadurch werden nicht nur unerreichbare Ziele gesteckt, sondern den Projektmitarbeitern eine gefährliche Botschaft gesendet: Entweder hat das Management überhaupt keine Ahnung, was ein solches Projekt wirklich erreichen kann (und sich damit in den Augen von Fachleuten diskreditiert), oder es ist nicht an tatsächlicher Zielerreichung interessiert (welches fähige Mitarbeiter dazu animieren kann, sich in solchen Projekten geradezu wohnlich niederzulassen). Beides wirkt sich erwartungsgemäß nicht positiv auf die Zielerreichung aus. Zu häufig notwendigen Verbesserungen der grundsätzlichen Architektur kommt es erst gar nicht, der ROI liegt in zu weiter Ferne.
Die Budgetierungssünde
Die Budgetierungssünde ist mit der Quick-Win-Sünde verwandt. Schaffe ich es nicht, den ROI durch utopische Kostenreduktionen zu erreichen, muss das Projekt mit geringeren Kosten starten. Das Augenmerk liegt hierbei auf Starten, da Projekte, wenn sie einmal unterwegs sind, ein Vielfaches ihres geplanten Budgets aufnehmen können (vergleichen Sie auch die „Sünde des Schreckens ohne Ende“). So werden die geplanten Kosten und der geplante Zeitrahmen einfach gekürzt. Sehr gerne wird dies durch eine wiederholte Anwendung des sehr beliebten 80:20 Prinzips erreicht. Es ist ja ein universales Gesetz (zu finden in Philosophiae Naturalis Principia Mathematica, Newton 1687), sicherer als das der Schwerkraft, dass die letzten im Allgemeinen unwichtigen 20% der Leistung eines jeden IT-Projektes in Wirklichkeit 80% der Kosten verursachen. Eine Kürzung des Budgets um 25% bei Einhaltung der erwarteten Ergebnisse ist damit schon fast ein Geschenk (Vermutungen einer Tibetanischen Entwicklersekte nach lässt sich die Sinnlosigkeit allen Tuns mittels Rekursion hiermit nachweisen.)
Die Sünde des Schreckens ohne Ende
Projekte schlagen nicht fehl und werden nicht vorzeitig beendet. Eingekaufte Softwarelizenzen müssen eingesetzt werden (ansonsten verwandeln sie sich vermutlich in Zombies), besetzte Stellen werden auf ewig besetzt bleiben und laufende Systeme werden, unabhängig davon ob sie noch einen Nutzen bringen oder nicht, weiterbetrieben. Jede Systemeinführung vergrößert den Systemzoo und ein einmal begonnenes Projekt wird garantiert in Produktion gehen, auch wenn es mit zwei Krückstöcken und Augenklappen eingesetzt wird. Damit kommen wir zur 7. Todsünde, der
Sünde des Victory Claims
Sehen wir einem Fehlschlag ins Auge, gibt es für den verantwortungsvollen Projektleiter nur einen Ausweg: Wir erklären den Erfolg und das Ziel als erreicht. Den weiteren Betrieb überlassen wir der Linienorganisation (also dem geneigten Leser überlassen wir den Beweis aus Sünde 5 zur weiteren Übung), Anpassungen an Prozesse sind an Prozess-owner delegiert und unser Key-User wird sicher alle weiteren Anwender schulen. Da alle Beteiligten sich bis hierher schon mehrerer Sünden schuldig gemacht haben, wird niemand den Erfolg bezweifeln.
Projekte müssen nicht so laufen, leider befeuert die BeraterKunden-Beziehung leicht einen solchen Verlauf. Nicht nur mit Buzzwords geschmückte, effektiv gerechnete und das Blaue vom Himmel versprechende Projekte werden vom Berater vorgeschlagen und vom Auftraggeber beauftragt. Lassen Sie uns mit offener und ehrlicher Kommunikation gegen den Sündenfall vorgehen.