3 Jahre nach dem Merger– alles ok?
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IT & Management Consulting, IT M&A, Post Merger Integration
oder: Was folgt nach der »Post Merger Integration«?
Die Integrationsphase nach Fusionen ist eine große Herausforderung. Ihr Gelingen entscheidet oft über Scheitern oder Gewinn einer Zusammenlegung. noventum consulting unterstützt seit vielen Jahren die vielfältigen planerischen und operativen Aspekte dieser kritischen Projektphase in den Branchen IT, Finance, Insurance, Energy und anderen. Carsten Fröning, Director, seit 1997 Berater bei noventum und zuständig für das Thema „Post Merger Integration“, gibt Auskunft über diesen wichtigen Meilenstein in dem PMI-Lebenszyklus eines Unternehmens.
novum: Herr Fröning, ist der Moment 3 Jahre nach der Integration oder dem Merger ein kritischer Zeitpunkt?
Carsten Fröning: Tatsächlich sind die 3 Jahre mehr symbolisch zu sehen. PMI-Projekte haben unterschiedlich lange Laufzeiten. Einige Merger, die den Fokus haben, in heterogenen Geschäftsfeldern über die Fusion Synergien, wie economies of scale, zu heben, sind tatsächlich nach Projektlaufzeiten von anderthalb Jahren beendet. Andere PMI-Projekte, wie zum Beispiel die Harmonisierung einer Applikationslandschaft für eine Versicherung, haben eine Laufzeit von 3 Jahren. Die gleiche Harmonisierung für eine Finanzdienstleistergruppe kann sogar Laufzeiten von 5 oder mehr Jahren umfassen.
Wenn wir das Ende des PMI-Projekts als „Stunde Null“ bezeichnen und dann 3 Jahre weiterdenken, sind wir an einem bedeutsamen Zeitpunkt angekommen. Es ergibt sich nach allen Projektverläufen ein interessanter Effekt: Das PMI-Projekt ist beendet und es stellt sich die Frage, was macht das Unternehmen danach, welche Ziele baut man nach dem Projekt auf und wie erreicht man diese? Diese Frage müsste strenggenommen auch schon am Beginn des PMI-Projektes gestellt werden, sicher aber an seinem Ende.
novum: Gibt es denn eine automatische Notwendigkeit für Zieländerungen nach der Fusion?
Carsten Fröning: Absolut. Die Merger-Projekte folgen einer Vielzahl von Zielen. Häufig dominiert das Ziel, über die Fusion Effizienzziele zu erreichen (economies of scale und scope). Andere Fusionsprojekte folgen strategischen Überlegungen, wie der Steigerung des relativen Marktanteils durch die Übernahme eines Unternehmens. Diese Strategien sind der Einstieg in den Merger, aber nicht das Ende. Nach dem Merger ergibt sich dementsprechend eine Notwendigkeit zur strategischen Neuausrichtung mit Blick auf den Markt. Wenige Merger-Projekte enthalten darüber hinaus einen dedizierten IT-Strategieansatz.
»Nach IT Cost Reduction oder Effizienzsteigerung folgt die IT-Innovation«
novum: Ist der Strategieprozess ein kritischer Prozess für die Unternehmen oder für die IT innerhalb eines Unternehmens? Oder gibt es andere Themen, die eine erhöhte Aufmerksamkeit benötigen?
Carsten Fröning: Die Strategiefindung und Ausrichtung auf den Markt ist ein Prozess, der nach dem Merger notwendig ist, tatsächlich aber ein gut beherrschter Prozess ist. Die IT-Strategie muss genauso berücksichtigt werden. Die Fusion der kaufmännischen Systeme findet im Merger immer sehr schnell statt. So ist häufig der 01.01. des folgenden Geschäftsjahrs der Go-Live-Termin für die kaufmännischen Prozesse. Hier sind die 3 Jahre nach dem Merger gefühlt schneller abgelaufen und die Umsetzung der operativen Systeme ist noch in vollem Schwung. In den operativen Systemen dauern Merger-Projekte gerne 3 bis 5 Jahre. Die Zeitpunkte der IT-Strategiefindung sind somit andere. Wichtig ist, den Schwung aus den Zielen Cost Reduction oder Effizienzsteigerung in Richtung Innovation umzulenken.
novum: Unternehmensvision und der Faktor Mensch bekommen oft große Aufmerksamkeit. Wie ist Ihre Einschätzung zu diesen Themen 3 Jahre nach dem Merger?
Carsten Fröning: Die Vision eines Unternehmens wird in der Regel im Zuge des Merger-Projektes definiert, muss sich allerdings gegenüber den alten Visionen behaupten und ihren Wert etablieren. 3 Jahre nach der Fusion sind wir an einem kritischen Zeitpunkt angekommen. Eine stark auf Konsolidierung ausgerichtete Vision muss dann wieder den Innovationsgedanken aufnehmen.
Aus eigener Erfahrung möchte ich eine solche Situation exemplarisch darstellen. In einem Fusionsprojekt bei einem Automobilzulieferunternehmen hat noventum das Merger-Projekt mehrerer Produktionsstandorte mit jeweils eigenen ERP-Systemen begleitet. Die Motivation der Fusion war tatsächlich eine kritische Unternehmenslage in einer gesamtwirtschaftlich angestrengten Situation. Das Unternehmen musste aus Kostengründen die Systembetreuungsaufwände senken und Ineffizienzen beseitigen, die durch heterogene Prozesse in heterogenen Systemen hervorgerufen wurden. Im Rahmen des Merger war der Fokus also stark auf Kostenreduktion ausgerichtet. Die bestehende Vision hat dabei weder geschadet noch geholfen. Nach dem Merger, der sehr erfolgreich gelaufen ist, entstand für die IT und die betroffenen kaufmännischen Abteilungen eine Lücke. Die Vision musste nach dem PMI-Projekt neu aufgestellt werden. Eigens für die IT wurde eine mit der Unternehmensvision harmonisierte IT-Vision und Strategie aufgesetzt. Fixpunkt war dabei die innovationsfördernde Wirkung der Nutzung von ERP-Systemen. Die Frage, wie die IT kürzere Produktionszyklen ermöglichen kann, rückte wieder stärker in den Vordergrund. Dieser Richtungswechsel ist sicher auch in anderen Industrien spätestens 3 Jahre nach dem Merger eine wichtige und sinnvolle Ausrichtung.
»Fusionierte Unternehmen bestehen in den Köpfen lange Zeit weiter«
novum: Was bedeutet der Faktor Mensch für unser Thema?
Carsten Fröning: Blicken wir auf die Mitarbeiter und ihre Wahrnehmung des Unternehmens. 3 Jahre nach dem Merger ist es eine interessante Erfahrung, in Vorstellungsrunden mit Mitarbeitern zu hören, dass ihre „Herkunft“ immer noch ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses ist. Ein typischer Satz in fusionierten Unternehmen ist: „Ich bin Mitarbeiter der Firma NewCo, aber eigentlich bin ich Mitarbeiter des Unternehmens Vorgänger“. Interessanterweise hat diese Zugehörigkeitsassoziation kein Enddatum. Im Dialog mit Projektmitarbeitern erfährt man manchmal, je nach Betriebszugehörigkeit und Firmenhistorie, von bis zu drei Vorgängerunternehmen, die teilweise seit 20 Jahren nicht mehr existieren. Diese Selbstwahrnehmung wirft ein deutliches Licht darauf, wie attraktiv das fusionierte Unternehmen für die einzelnen Mitarbeiter geworden ist und woran es fehlt.
novum: Geht es ausschließlich um Selbstbilder?
Carsten Fröning: Selbstbilder sind wichtig, da sie psychologisch nahe an die Motivation grenzen. Es geht aber um mehr. Mitarbeiter haben einen konkreten Umgang mit Prozessen und Ressourcen. Beispielsweise wird versucht, IT Service Management Prozesse einer der Vorgängerfirmen 1:1 auf das neue Unternehmen anzuwenden. Die Motivation dafür ist vielfältig: Sie reicht von einem instinktiven „Ich hole mir zurück, was mir in der Fusion genommen wurde“ bis zu einem „Das neue Unternehmen hat so wenig Strahlkraft, dass ich lieber auf tradierte Prozesse zurückgreife“. Diese Situation muss frühzeitig vom Management erkannt und angegangen werden. Vision und Strategie des gemergten Unternehmens tragen erheblich dazu bei, dass die Mitarbeiter der „NewCo“ auch neue Prozesse unterstützen und weiterverfolgen.
»Nicht nur die Etablierung eines gemeinschaftlichen Selbstbildes ist die Aufgabe des Managements«
novum: Aus Ihren Erfahrungen und den Beratungsansätzen bei noventum, welche Chancen sehen Sie 3 Jahre nach dem PMI-Projekt?
Carsten Fröning: Tatsächlich kann man den Zeitraum 3 Jahre nach der PMI als Anlass für erneute Orientierung und strategische Ausrichtung sehen. Dieser Ansatz hat im allgemeinen Sprachgebrauch noch keinen einheitlichen Namen gefunden. „Post Post Merger Integration“ scheint sprachlich nicht zu funktionieren. Auch der Begriff „zweite Welle“ des PMI-Projekts hat sich nicht durchgesetzt.
Es gibt Faktoren, die eine solche zweite Welle des PMI-Prozesses sinnvoll und teilweise leicht umsetzbar erscheinen lassen:
- Verminderte kulturelle Widerstände im Unternehmen. Die Vorgabe einer einheitlichen Vision und Strategie ist im fusionierten Unternehmen eine gute Basis für die einvernehmliche Zusammenarbeit aller Mitarbeiter.
- Klarheit über die handelnden Akteure und Prozesse. Mitarbeiter und Management haben sich 3 Jahre nach der Fusion kennengelernt. Faktisch ist auch das funktionale Zusammenspiel durch Organigramm und Prozesse geregelt. Die Arbeitshypothese, dass alle beteiligten Mitarbeiter ohne eine hidden Agenda antreten, schafft Klarheit, wenn sie glaubwürdig vertreten wird. Auch existiert Potential für die Umsetzung und Optimierung gemeinsamer Prozesse und die Schaffung neuer „best practices“. Zukunft motiviert.
- Klarheit über die Handlungsfelder. Die Posten, die in dem PMI-Projekt nicht realisiert werden konnten, sind bekannt und neue Handlungsfelder werden im Strategieprozess identifiziert.
Gutes Projektmanagement unterstützt diese Potentiale frühzeitig. Am Beispiel der Handlungsfelder erläutert: Die meisten PMI-Projekte im ERP-Bereich sind beispielsweise zur Erreichung des Zeitpunkts dazu angehalten, die Kanten des magischen Projektdreiecks Aufwand und Qualität niedriger zu priorisieren. Funktionale Anforderungen, die zum Go-Live nicht umgesetzt werden konnten, werden in einen Release 1.1. bewegt, der im Jahr 1 nach dem Merger-Projekt umgesetzt werden kann. Aufgabe im Jahr 3 ist es dann, diese Motivation in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu bewegen und Innovation zu ermöglichen.
novum: Muss man 3 Jahre warten, um nach dem PMI-Projekt die weiteren Potentiale zu heben?
Carsten Fröning: Es gibt Potentiale, die entstehen erst nach dem beendeten PMI-Prozess. Insofern ist „nach dem PMI-Projekt“ eigentlich „kurz vor dem Optimierungsprojekt“. Die Weiterverfolgung von nicht realisierten PMI-Zielen und die Findung von neuen Zielen ist ständige Aufgabe des Managements. Wie schon eingangs gesagt, ist eine 3-Jahresgrenze mehr eine symbolische Zahl für den richtigen Zeitpunkt nach dem Merger.
novum: Vielen Dank für das Gespräch.
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